The Ulterior Dimension
of the Line
by Ryul Song
Am Nachmittag des 4. Julis im Jahre 1960 zwischen 4 Uhr
und 6 Uhr 55 druckte Piero Manzoni eine Linie von 7200 Metern Länge in
einer Druckerwerkerstatt in Herning in Dänemark aus und schloss sie in
einen Zylinder aus quadratischen Bleiplatten ein. Diese Linie war die
Erste aus der Serie "Linea di lunghezza infinita" (Line of Infinite
Length). Jede weitere Linie sollte nach ihrer Ausführung eng
zusammengerollt in einem unter Vakuum gesetzten Edelstahlbehälter
eingeschlossen und jeweils in eine Hauptstadt der Welt platziert
werden, bis die Summe der "Line of Infinite Length" die Länge des
Umfanges der Erde erreicht hat.
I. Associations of Lines
In Klees Werken erscheint die Linie als konstituierendes und
bildprägendes formales Element. Im Mittelpunkt seines Unterrichts am
Bauhaus standen seine Lehre von den bildnerischen Mitteln und
Gesetzmäßigkeiten und deren Entwicklung und Zusammenwirken im
schöpferische Gestaltungsprozess. Seine Äußerungen zu seinen
Gestaltungsmitteln, insbesondere zur Funktion und Bedeutung der Linie,
verdeutlichen, welche analytische Klarheit die Linie in seinem Werk
hinsichtlich ihres Ausdruckspotentials hatte. Im ersten Abschnitt des
Aufsatzes "Graphik" in seiner "Kunsttheorie" erwähnt er unter dem
Aspekt der in der Graphik immanenten Tendenzen zur Abstraktion ihre
besonderen gestalterischen Möglichkeiten.
Reine Kunst entsteht, wenn der Ausdruck des
Formelements und der Ausdruck des formalen Organismus sich mit dem
Geist des Inhalts sichtlich decken.
Im zweiten Abschnitt setzt er sich mit den Ausdrucksmöglichkeiten der
Linie zur Gestaltung formaler aber auch inhaltlicher Vorstellungen
auseinander. Das poetische Bild einer Reise entlang einer Linie beginnt
mit der Bewegung weg von einem 'unendlich kleinem Flächenelement,
Urelement - Punkt ', wodurch die Linie entsteht. Während die Linie erst
nur das Charakteristikum der Richtung enthält, erfährt sie
unterschiedliche Funktionen und Bedeutungen im Bezug zu ihrer sich
verändernden Umgebung und verändert dadurch wiederum ihrer Umgebung.
(...)
Diese Sequenzen der Linie entwickeln jede mögliche Art von Bewegung,
wobei die Linien ihre Wesen behält oder verändert in Folge der
Integration des von ihr veränderten Kontextes. Durch die
Zusammenwirkung der Linie mit dem Kontext definiert sich die Qualität
der Linie neu. Die Linie in Klees Werk ist somit als Abbildung dieser
neuen Bedeutung von Linie zu verstehen.
Er unterscheidet an Hand von Beispielen verschiedene Typen von Linie.
Unter dem Begriff 'Linear aktiv' fasst er zwei Arten von Linien
zusammen. Die Erste 'ergeht sich (...) frei und ungebunden',
gewissermaßen als 'Spaziergang um seiner selbst Willen. Ohne Ziel'. Die
Zweite ist die 'befristete', die als Gerade die Entfernung zwischen
zwei Punkten möglichst schnell überwindet als 'Geschäftsgang'. Unter
der Überschrift 'Linear medial' behandelt er Linien, die Figuren
umschreiben und so eine Fläche, eine Form oder einen Gegenstand
definieren, mit deren Entstehen sie zugleich ihren Charakter verlieren.
Daraus ergibt sich dann der Begriff 'Linear passiv', bei dem es um
'lineare Ergebnisse aus Flächenhandlungen' geht. Daraus leitet er ab,
dass die Wirkungen der Flächen, die aus den Linien entstehen, in ihrer
Erscheinung in einem umgekehrten Verhältnis zu der der Linien stehen.
Das Wesen der Linie geht verloren und nur ihre Ergebnis, die
Flächenwirkung, existiert; die Linie arbeitet nur als Element für die
Fläche. Je aktiver die Linie ist, um so schwächer erscheint die
Flächenwirkung, je aktiver die Fläche ist, um so passiver erscheint die
Linienwirkung.
Klees weitere Bezeichnungen der Linie als Strom in die
Ferne. Gedanke. Bahn. Angriff. Degen., Stich, Pfeil, Strahl. Schärfe
des Messers. Gerüst. Zimmermann aller Form: Lot
sind Aspekte der inhaltlichen und funktionalen Dimension von Linie in
Abgrenzung zu Fläche und Körper. Die gezeichnete Linie nimmt
unmittelbar eine Bedeutung in Relation zu ihrem Kontext an. Damit
negiert Klee die Existenz der Linie um ihrer selbst Willen, als das
'Lineare' als abstraktes Prinzip.
Für Klee ist die Linie das 'primitivste Mittel' der bildnerischen
Gestaltung.
Kurz nach dem Ansetzen des Stiftes, oder was es sonst
Spitzes ist, entsteht eine Linie. Darüber hinaus kann die
Linie zuallererst als die Unendlichkeit, ohne Tendenz von Richtung,
ohne Hinweis auf irgendeine Position, ohne Dimensionalität, begriffen
werden. Das unwahrnehmbare unendliche 'Lineare' ist der ontologische
Begriff der Linie. Sobald eine Linie gezeichnet oder wahrgenommen wird,
entsteht die Zusammenwirkung der Linie mit dem Jenseits dieser Linie.
Die wahrgenommene oder wahrnehmbare Linie kann über ihren ontologischen
Begriff hinaus, in ihrer Relation verstanden werden.
Klee sagt, dass die unter den Begriffen 'Linear medial' und 'Linear
passiv' zusammengefassten Linien ihren Charakter als Linie verlieren,
und dass es ein idealistischer Gedanke sei, dass der Charaktere der
Linie ergebnisimmanent sei. Wenn dieser analytische Prozess der
induktiven Logik folgt, sprich die Linie ihren Charakter nicht aufgrund
der Wirkung der Fläche verliert, sondern ihre Bedeutung und ihren
Wesenzug nur ändert, wird sie in der Zusammenwirkungen mit den Fläche
neu definiert.
Der wesentlichste Charakter von Klees Linie ist die
Bewegungsmöglichkeit. Diese Bewegungsmöglichkeit der Linie ruft in
Beziehung zueinander Assoziationen hervor durch einen Prozess der
metaphorischen Weiterentwicklung. Dieser Zusammenhang beschreibt nicht
ein physikalisches sondern ein geistiges Phänomen. Anhand zweier
Skizzen, die die Illusion zweier konvergierender Eisenbahnschienen
zeigen, gab Klee in seinem Unterricht am Bauhaus seine Sichtweise über
den assoziativen Potential der Linie wieder. (...)
Ganz im Gegensatz zu seinem Bauhauskollegen László Moholy-Nagy, der in
seinen theoretischen Schriften die Bewegung des Punktes zur Linie und
der Linie zur Fläche mit der Weiterbewegung der Fläche zum Raum
fortsetzt, sieht Klee keine solche analoge Möglichkeit.
Zur 'Konstruktion in drei Dimensionen' nutzt Klee weiter den visuellen
Eindruck einer frontal auf den Betrachter zulaufenden Eisenbahnstrecke.
Die parallele Schienenführung erscheint im Auge des Betrachters als
eine im 'Fernpunkt' zusammenlaufende Linienbewegung (Längsgradierung),
die von den Eisenbahnschwellen (Quergradierung) mit einer waagerechten
rhythmischen Struktur ergänzt wird. Auf diesen Linienstrang setzt Klee
die Front einer Lokomotive und projiziert das Raster aus Längs- und
Quergradierung der Grundfläche über die Seitenkanten und die Oberkante
der Lokomotivenfront.
(...)
Anhand dieses Raumnetzes erörtert Klee die Möglichkeiten der
'perspektivischen Progression'. Wird die Längsgradierung vervielfacht,
so entfaltet sich vor dem Betrachter eine Bodenfläche mit einer
fächerartigen Linienstruktur. Die mittlere Linie bildet sich als
Senkrechte aus, die auf den Fernpunkt zuläuft. Mit ihrer visuellen
Betonung ist sie dem Standort des Betrachters gleichzusetzen. Mit der
Einführung von Horizontallinien assoziiert der Betrachter nun eine
perspektivische Darstellung.
Mit dem Wechsel der Vertikalachse (Standort) ändert sich das
Gesichtsfeld des Betrachters, wodurch eine neue visuelle Tiefe zwischen
der Netzhaut des Betrachters und den Gegenständen entsteht. Dadurch
wiederum verursachen die Linien, bedingt durch die geänderte visuelle
Tiefe, neue Assoziationen, die Realität wird anders wahrgenommen. Die
Bewegung des 'Augenpunktes' setzt den Wechsel der 'Tiefe einer im
Profil gesehenen Breite' eines Gegenstand und den Wechsel der visuellen
Tiefe zwischen dem Subjekt und dem betrachteten Objekt fort. Diese
Phänomen prägt dem synthetisch denkenden Subjekt den jeweilig neuen
Sinneseindruck ein.
(...) Eine subjektivistisch wahrgenommene Realität ist durch die
gleichzeitige Zusammensetzung der verschiedenen perspektivischen
Blickpunkte dargestellt. Aufsicht und Untersicht werden simultan durch
die Verwendung verschiedener Standorte kombiniert. Die sich
verändernden visuellen Tiefen zwischen Betrachter und Gegenstand rufen
immer neue Assoziationen hervor. Die Arbeit bildet im Zusammenwirken
der mehrdimensionalen Gleichzeitigkeit eines Gegenstandes die
subjektive Realität ab.
Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht
sichtbar.
In seinen Gedanken über die Ausdrucksmöglichkeit der Linie definiert
Klee die Wechselbeziehung zwischen der Bewegung der Linie und den
weiteren von der Linie ausgehenden Dimensionen. In seinem Skizzenbuch
stellt er anhand linguistischer Definitionen und beispielhafter
Zeichnungen die unterschiedlichen Ergebnisse der Linie, die
'körperlichen' und 'räumlichen' Flächewirkungen, dar. Die Begriffe,
'körperlich zweidimensional/ räumlich zweidimensional' etc., die Klee
ausschließlich auf den Prozess der bildnerischen Schöpfung anwendet,
bleiben in Hinblick auf den physischen dreidimensionalen Raum gültig,
bedürfen jedoch angesichts der sich ändernden Wechselbeziehung von
Betrachter und Betrachtetem durch die Einbeziehung des Raumes einer
komplexeren Untersuchung.
II. Three-dimensional Two-dimensionality
Klees Begriffe 'körperlich zweidimensional' und 'räumlich
zweidimensional' lassen sich anhand James Turrells architektonischer
Werke vom zweidimensional abgebildeten dreidimensionalen Raum in den
tatsächlich dreidimensionalen Raum übertragen.
Bodily Two-dimensional
James Turells Arbeiten, die mit der 'borderline' experimentieren, wie
die Serie "Space Division Construction" und besonders die spätere Serie
"Wedgework", setzen sich intensiv mit den Erfahrungen der Wahrnehmung
auseinander. Sie dementieren die Dimensionalität physisch vorhandener
Räume und lassen Raum erst durch individuelle Erfahrung entstehen. Er
entwickelt Räume, deren wahrgenommene Dimensionalitäten sich abhängig
von der Dauer der Betrachtung und der Dauer der Bewegung des
Betrachters verändern, und mit der Wahrnehmung des Betrachters spielen.
Ein Rahmen definiert eine Fläche, die als 'borderline' sichtbar wird,
als ein Zwischenort, der physisch undefinierbar, jedoch als Trennlinie
zwischen zwei Räumen geistig wahrnehmbar ist. Die 'borderline' ist eine
Luftoberfläche, die sich lediglich in der Wahrnehmung des Betrachters
innerhalb eines Rahmens, der durch das Zusammenwirken von Flächenkanten
beschrieben wird, bildet. Diese Oberfläche wird durch intensives
homogenes Licht ausgefüllt,
sprich sie wird durch die Materialisierung der Licht innerhalb des
Rahmens sichtbar. Damit wird der Rahmen, der durch Raumkanten und
Kanten von Trennwänden gebildet wird, in der Umkehrung der Wahrnehmung
zu Kanten einer Fläche.
Die unendliche Dichte des Lichtfeldes löst die Linien des sich dahinter
fortsetzenden sichtbaren Raumes auf; Höhe, Breite und Tiefe des Raumes
verlieren sich. Der Betrachter nähert sich dem Lichtfeld, dem virtuelle
Ort, wie einem zweidimensionalen Bild, bis das homogene Lichtfeld sein
gesamtes Gesichtsfeld ausfüllt. Unweigerlich entsteht das Verlangen,
diese gesichtslose Fläche zu berühren, jedoch gibt es kein zu
berührendes Objekt. Was gesehen wird, ist die flache Frontalität der
soliden Bildes und die unbeständige Tiefe der homogenen Farbfläche.
Erst das Durchschreiten des Lichtfeldes, die physische Berührung (bzw.
Nichtberührung) dieses zweidimensionalen Körpers (bzw. Nichtkörpers),
verändert die wahrgenommene Dimensionalität des Orts.
Diese enigmatische Natur des Raumes und seiner Dimensionalität
verstärkt Turrell durch die Materialisierung der 'borderline'. Der
Raum, den die 'borderline' begrenzt, verändert sich nicht und schwankt
dennoch zwischen den Dimensionen, zwischen der Wahrnehmung des
Betrachters und der Erkenntnis beim Betreten des Raumes. Das Lichtfeld
ist ein Übergang vom sichtbaren Raum in den Raum des Sehens, es
verändert die wahrgenommene Dimensionalität des Ortes. Die Wahrnehmung
spielt sich ständig an den Grenzen des Wahrnehmbaren ab und hinterlässt
Verunsicherung.
Durch das Durchschreiten der 'borderline' wird das betrachtende Subjekt
zum betrachteten Objekt. Wenn das 'sehende Ich' in den Hintergrund
tritt, geht es im Akt des Sehens und der Sichtbarmachens auf. Ein
anderes 'sehendes Ich' betritt den Raum, das das 'sichtbargewordene
Ich' im Hintergrund sieht.
Was uns den einen Teil des Feldes als Bewegliches, den
anderen als Hintergrund gelten lässt, ist die Art und Weise, in der wir
durch den Akt des Blickens unser Verhältnis zu ihnen begründen.
Jetzt beobachtet mich die Objekten.
(...)
In der Serie "Wedgework" verwendet Turrell durch Licht erzeugte Linien,
Ausschnitten und farbige Oberflächen, um den Betrachter in eine
unergründliche Tiefe einer immateriellen Fläche zu ziehen. Die
Raumtiefe des begehbaren Sehraumes, des virtuellen Raumes, verursacht
im ständigem Wechselspiel mit der Fläche, immer neue Beziehungen
zwischen dem Naheliegenden (Da) und dem In-der-Ferne-liegenden (Dort),
zwischen dem Betrachter und dem Betrachteten. Diese visuelle Tiefe
beschreibt Merleau-Ponty mit dem Wort 'Voluminositä'.
Wie wir von vornherein anzeigten, bedarf es der
Wiederentdeckung der primordinalen Tiefe, die der Tiefe im Sinne einer
Beziehung zwischen den Dingen oder auch zwischen den Ebenen, dieser
objektivierten, von der Erfahrung losgelösten und in Breite
verwandelten Tiefe, noch zugrunde liegt und ihr ihren Sinn verleiht,
selbst aber die Dichtigkeit eines Mediums ohne Dinge ist. (...) Diese
Voluminosität variiert je nach der betreffenden Farbe und ist gleichsam
der Ausdruck ihres qualitativen Wesens. So gibt es denn eine Tiefe, die
noch nicht zwischen Gegenständen statthat und um soviel weniger
Abstände von einem zum anderen ermißt, sondern die einfache Offenheit
der Wahrnehmung für ein kaum qualifiziertes Dingphantom ist.
Spatially Two-dimensional
Einen Rand bzw. einen Rahmen mittels einer Linie zu zeichnen, bedeutet
nicht nur, ein zu sehendes Ding zu umschließen oder den Fokus auf es zu
richten. In James Turrells Serie 'Skyspace' sind die Kantensysteme ein
Rahmen für den Ort zwischen den heterogenen Bedingungen des Sichtbaren.
Bei "Skyspace" wird der Himmel als neutraler Hintergrund mittels eines
Rahmes begrenzt, wodurch der Himmel sich innerhalb des Rahmes in einer
Fläche materialisiert. Durch diese aktive Himmelsfläche wird ein
passiver Ort zu einem Raum der unvorhersehbaren visuellen Erfahrung
umgewandelt. Der Himmel wird als eine betrachtete Fläche neu definiert,
wobei das Erscheinungsbild dieses Himmels die Sinne des Betrachters
irritiert, seine Sichtweise vom Alltäglichen ins Besondere lenkt. Indem
der Himmel in die Fläche der Deckenöffnung heruntergeholt wird,
entsteht ein Raum, der, obwohl zum Himmel geöffnet, ein Gefühl von
Geschlossenheit vermittelt. Dieses Gefühl wird noch verstärkt durch die
Projektion der Horizontlinie auf Augenhöhe in das Innere des Raumes.
Was betrachtet werden kann, ist in einem nicht beherrschbaren Abstand,
und wird dadurch seine innerste Textur nie enthüllen. Die Serie
"Skyspace" ist der Versuch, den unfassbaren Zwischenraum zwischen dem
Himmel und dem Betrachter zu überwinden, mittels eines Rahmensystems,
das eine Himmelsfläche umschließt, damit seine reine Tiefe flach und
greifbar nah wahrgenommen werden kann. Der Himmel ist nicht mehr
unbestimmt 'rund um' oder 'über' der sehenden Person, sondern 'genau
dort' umrahmt von den Kanten. Der zu einem definierten Ort gewordene
Himmel verleit durch seine ständige Veränderung dem Raum eine weitere
Dimension, eine unmittelbare Gegenwärtigkeit der Wahrnehmung.
In Hinblick auf den Wahrnehmungsprozess existiert kein objektiver
Umriss des Gesichtsfeldes. Merleau-Ponty erläutet: Zu
Unrecht hat man gemeint, die Grenzen des Gesichtsfelds lieferten stets
einen objektiven Bezugspunkt. (...) der Rand des Gesichtsfelds ist
keine reale Linie.
Weiter schreibt er, dass der Rand des Gesichtsfelds eher ein Augenblick
ist, eine unruhige Erfahrung der Zeit, die wir benötigen, um zu sehen.
In "Skyspaces" soll jedoch genau die reale Linie das Gesichtsfeld des
Betrachters limitieren. Dies wird durch die Umkehrung des
Wahrnehmungsprozesses des Betrachter in Hinsicht auf das Betrachtete
erreicht. Dabei verändert sich nicht die wahrgenommene Realität (der
Gegenstand) durch den Wechsel im Gesichtsfeld, sondern das Gesichtsfeld
des Betrachters verändert sich passiv durch die Änderung der
Erscheinung des Himmels. Selbst die 'verborgene Seite' des Himmels wird
als 'vor uns' wahrgenommen, im Gegensatz zu Ergründung der verborgene
Seite durch die Änderung des Gesichtsfelds mittels der Bewegung.
Die Umrisslinie verursacht die absolute Exterritorialität des Himmels
und dementiert die Existenz des Körpers, wobei die
Erscheinungsänderungen des Himmels den Betrachtungsraum und die
Wahrnehmung des Betrachters determinieren. Die reale Umrisslinie
zwischen dem Himmel und dem Betrachter führt innerliche Ambivalenz
zwischen dem unendlichen Himmel und dem als ein Fläche materialisierten
Himmel, zwischen der Offenheit und der Geschlossenheit des Himmels, im
Betrachter herbei.
In den Werken James Turrells wird die Bewegung und die Konstruktion von
Linien neu angewandt. In dem Begriff 'borderline' , nicht
'border-line', ist bereits impliziert, dass seine Linien nicht für die
linearer Wirkung, sondern für den Eindruck der Fläche als
materialisierter Ort benutzt werden, sozusagen für die weiteren
Dimensionalen, die von der Linie ausgehen.
III. Metaphysics of Two-dimensionality
Im Gegensatz zu Turrell erzeugt Lucio Fontana in seinen raumbezogenen
gestischen Werken Linien auf Flächen, um den zweidimensionalen
Charakter der Fläche hervorzuheben und die unbegrenzte Räumlichkeit der
Fläche durch die vierte Dimension des Raumes wahrnehmbar zu machen. Die
vierte Dimension des Raumes ist laut Fontana die Erkundung der inneren
Dimension jenseits aller Zeit und der Einheit von Raum und Zeit, wie
sie Kubismus und Futurismus erschufen. (...)
Neben Seurat mit seiner Bemühung, einen Bezug zwischen malerischen
Zeichen und räumlicher Dimension des Bildes herzustellen, strebte
Fontana wie die Symbolisten danach, in seiner meist linearen
Handschrift seelische Zustände auszudrücken, wobei Umkehrung und
Anomalien neue psychische Dimensionen erahnen lassen. Seine Zeichnungen
sind weniger Ausdruck einer Bemühung als vielmehr der Freude an der
zeichnerischen Bewegung, an deren linearem Geflecht keine späteren
Eingriffe und Korrekturen vorgenommen werden. Diese Zeichnungen machen
die Reinheit im Sinne höchster expressiver Klarheit verständlich, die
Fontana in seinem Werk schließlich zur weißen Fläche mit einem einzigen
Schnittlinie kommen lassen.
(...)
In "Concetto spaziale", 1951, und "Concetto spaziale", 1953, aus der
Reihe der Concetti spaziali ab 1949 ordnet Fontana lichtdurchlässige
Öffnungen mit ihrem Gegenteil, den Steinen, als eine Erfahrung von
sinnlichem Positiv-Negativ, an. Die Perforierungen bedeuten einen
wesentlichen Schritt in seiner Bemühung, die illusionistische
Raumdarstellung zu überwinden. Die Leinwand wird zu einer permeablen
Membran zwischen dem Raum vor und hinter ihr. Fontana benutzt im
allgemeinen die mathematische Auffassung der Linien als Zeichen der
Unendlichkeit. In diesem Sinne kann eine punktförmige Öffnung der
Leinwand als eine Linie verstanden werden, die in der unendlichen Tiefe
ihren Körper verlieren wird und bei der Betrachtung auf die
Unendlichkeit des Raumes hinter der Leinwand verweist. Durch die
Verletzung der Leinwand und die daraus resultierende Vergegenwärtigung
unbekannter grenzenloser Räume beabsichtigt Fontana, sich von der
Wandfläche zu lösen.
Auch in der weiteren Folge der "Concetti spaziale" seit 1958 , in denen
Fontana die Leinwand mit Schnittlinien verletzt, kommen den Schnitte
eine ähnliche räumliche Bedeutung zu. Die Leinwände, die in ihrer
großen Mehrheit monochrom gehalten sind, werden mit geraden, konvexen
oder konkaven Linien durchschnitten, die die Fläche strukturieren und
rhythmisieren. Eine Linie mit Höhe und Breite verursacht eine
Linienfläche, die wiederum die unendliche Räumtiefe wahrnehmbare werden
lässt.
Im Gegensatz zu den Kubisten und Futuristen, die neue Dimensionen unter
Hinweis auf die Einheit von Raum und Zeit erschufen und diese auf die
Fläche projizierten, öffnet Fontana die Fläche an sich dem räumlichen
Zugang. Fontanas Arbeit kann sowohl als Verwirklichung der Einheit von
Raum und Zeit, als auch in der Erfahrbarmachung unterschiedlicher
Wahrnehmungsaspekte, die der Betrachter mit Raum verbindet, verstanden
werden. Die vierte Dimension ist in Fontanas Werk immanent. (...)
IV. Pieces of Infinity
(…) a surface that simply is: (…) Even if this
indefined surface (uniquely alive) cannot in fact be infinite because
of the material contingent of the work, it certainly is unfinishable,
repeatable to infinty, and has a continuity that remains unresolved.
This is more obvious in the "Lines". (…) the line develops only in
length: it runs to infinity: its only dimension is time. It goes
without saying that a line is not a horizon or a symbol, and that its
value lies not in the degree to which it is more or less beautiful, but
in the extent to which it is more or less a line: its existence lies in
this (…)
Von 1959 bis 1961 produzierte Piero Manzoni Linien von
unterschiedlicher Länge zwischen 1,76 Meter und 1140 Metern. Diese
Linien wurden in schwarzen Pappkartons eingeschlossen und jeweils mit
einem Etikette versehen, auf dem Länge und Datum vermerkt wurden.
Parallel zur 'Linea'-Serie begann er 1960 mit der Serie 'Linea di
lunghezza infinita'(Line of Infinite Length).
Mit dieser Arbeit beabsichtigt er, den Konflikt zwischen der
Unzulänglichkeit der begrenzten Fläche und der metrischen Verlängerung
der Linien zu überwinden. Durch die Beschreibung der individuell
definierten Grenze, definiert sich die Grenze der gesamten Welt. Seine
Aktionen und Äußerungen sind Metaphern für die Bedeutung von
Undefinierbarem und Definierbarem, für die Zeitlinie und die Zeit der
Linie, für die Abwesenheit der Begrenzung der Linie und der Zeit, für
die Relativität von Ort und Zeit durch die Unendlichkeit ihrer
Ausdehnung.
Jetzt ist die Zeit der Linie in einem Behälter eingeschlossen. Die
Unendlichkeit der Zeit ist definiert, mittels einer menschlichen
Dimension, der Messung der Linie in Metern und Zentimetern und der
Dauer ihrer Ausführung in Minuten. Die Zeit der Linie ist in sich
selbst eingeschlossen, innerhalb der Grenzen ihrer Transformation, und
damit wird die Grenze der Zeit durch das Lineare definiert. Auf diese
Weise verbindet sich das Unsichtbare mit dem Sichtbaren, Zeit wird
durch die Linie bewusst gemacht, die Linie reflektiert Zeit.
The nature of the Linea is eternal and infinite, (…) I
put the Linea in
a container so that people can buy the idea of the Linea. I sell an
idea, an idea closed in a container.
Manzoni stellt durch eine klar definierte Linie Exemplare von
Unendlichem her, um das Unendliche definieren zu können. Seine Idee
kann als ein Zusammenwirken von unbegrenzter Zeit und unbegrenztem Ort
verstanden werden.
Jedoch wenn die Zeit der Linie ein Verhältnis zu einem Ort hat, der
einem menschlichen Maßstab entspricht, kann die Linie ihre
achromatische Bedeutung durch die menschliche Bewegung, sprich durch
die Zeitdehnung, ändern. Die Sequenz der modellierten Linien an einem
Ort ist in einem Zylinder eingeschlossen als Metapher des
architektonischen Denkens.
Anhand der Atmosphäre in dem Innenraum des Zylinders nimmt der
Betrachter die physikalische Länge der Linie individuell sinnlich wahr.
Dies ist vergleichbar mit der unterschiedlich starken Einrollung von
Linien mit physikalisch identischer Länge. Die Wechselbeziehung
zwischen Zylinder und den modellierten oder zu modellierenden Linien
kann als Anfang des architektonischen Prozesses gesehen werden: die
Veränderung der Wahrnehmung des physisch definierten Gegenstandes
bedingt durch die erfahrbare Umgebung.
Time is something different from what the hands of a
clock measure, and
the line does not measure meters or kilometers, (…)
Eine Linie wird bedingt durch die Bewegung, in ihrer physikalischen
Länge durch ihrer Umgebung unterschiedlich wahrgenommen, wobei die
individuell wahrgenommene Länge der Linie das Gefühl von Zeit
beeinflusst, in der die Linie physikalisch erlebt wird. Durch das
Zusammenwirken der Bewegungslinie mit ihrer Umgebung entsteht
erfahrbarer Raum.
Das Wesen der Bewegung ist die physische Reaktion auf die individuelle
Wahrnehmung des Betrachteten. Der Wahrnehmung der in der Natur immanent
vorhandenen Linie folgt die unbewusste Bewegung entlang dieser Linie.
Damit wird das bewusstes Einschließen eines Exemplars der 'unendlichen
Linie der Bewegung an einem Ort' in einen 'Zylinder', sprich die
Transformation dieser Linie innerhalb der menschlichen Dimension, zu
einem architektonischen Verfahren, indem die Linie der zu erwartenden
Bewegung durch ihrer Transformation wiederum in einen immanenten
Zustand überführt wird.
Ein perfekt vollendeter Raum ist nicht vorhanden. Es geht nicht um die
Sequenz der Zylinder, sondern darum, wie der Zustand der eingerollten
Linien in einem Zylinder erfahren wird und dies Erfahrung sich
entfaltet. Jeder Raum erwartet seine individuelle Erfahrung.
(...) in total space dimensions do not exist,
sondern werden jeder Zeit neu aufgebaut.
Bibliographie
Piero Manzoni, "Alcune realizzazioni. Alcuni esperimenti. Alcuni
progetti", Milan, 1962
Paul Klee, Die Kunstteorie von Paul Klee, in Festschrift Hans R.
Hahnloser zum 60. Geburtstag 1959, Max Huggler (Ed.), 1961
Paul Klee, Form und Gestaltungslehre, Bd. 1: Das bildnerische Denken,
Jürg Spiller (Ed.), Schwabe & Co Verlag, Basel, 1971, Bd. 2:
Unendliche Naturgeschichte, Jürg Spiller (Ed.), Schwabe & Co
Verlag, Basel, 1970
Paul Klee, Schöpferische Konfession, K. Edschmid (Ed.), Berlin, 1920
Maurice Merleau-Ponty Phänomenologie der Wahrnehmung, trans. by Rudolf
Boehm, C.F. Graumen & J. Linschoten (Ed.), Walter de Gruyter
& Co., Berlin, 1965
Lucio Fontana, Technical Manifesto of Spazialismo: on occasion of a
convention on proportion during the 9th Milan, Triennale, 1951
Piero Manzoni, Free dimension, published in "Azimuth" no.2, Milan, 1960
Piero Manzoni, in Jens Jørsen Thorsen, "han scelger ideer på dåser",
Aktuelt, Copenhagen, June 20., 1960
Piero Manzoni, in (peter Jepsen) Jep, "Søren Kierkegaard er grundlaget
for Frihedan i liele verden", Herning Folkeblad, Herning, July 6., 1960
published in archiscape,
pp. 140-143
|
|
(english)
(german)
Piero Manzoni, ‘Linea’, 1959
Paul Klee, 'Construction in Three Dimensions’
1 2
3
4
1. bodily
two-dimensional,
limiting or medial
(body limit)
2. bodily
two-dimensional,
external-material
active-2D
(outer surface
of a body)
3. spatial
two-dimensional,
surrounding
representation
(activated
passivity)
4. external-
spatial,
surrounding
representation
(non-bodily)
James Turrell, ‘Wedgework III’, 1969 / ‘Wedgework IV’, 1974
James Turrell, ‘Skyspace I’, 1975 / ‘Air Mass’, 1993
Lucio Fontana, ‘Concetto spaziale, Attesa’, 1960 / 1964-1965
Piero Manzoni, the series ‘Linea’ / ‘Linea m. 7200’, 1960
|