suparc architects schweitzer song seoul/frankfurt

I     news
II    profile
        2.1  ryul song
        2.2  christian schweitzer
        2.3  office
III   work
        3.1  projects
        3.2  competitions
        3.3  theory

          3.3.1  plastic space
          3.3.2  suncheonization
          3.3.3  the black borderline
          3.3.4  liquid plans
          3.3.5  korean/german moot
          3.3.6  the ulterior dimensions of the line
          3.3.7  architecture as non-objectivity
          3.3.8  die tür zum garten

Die Tür zum Garten
von Christian Schweitzer


André Le Nôtre war ein begnadeter Gartenarchitekt, er schuf Landschaften und Räume unendlicher Schönheit. Seine wohl bedeutenstes Arbeit ist der Schlosspark von Versailles für König Ludwig den XIV, den Sonnenkönig. Fast unmerklich integriert in die Gesamtanlage entwarf er ein Labyrinth, das allen Regeln eines Labyrinths widerspricht, es invertiert den Begriff von Architektur. Nicht die Wände, sprich die Hecken, generieren den Raum, sondern der Weg, die Leere, bildet eine imaginäre Wand um das Volumen der Hecken. In diesem Labyrinth gibt es kein Ziel, keinen Mittelpunkt und keinen Ausgang, den man finden muss, jeder Weg führt unweigerlich wieder nach Draußen. Der Verlust der Orientierung, der Kontrolle, ist das Ziel, die Überraschung, der unmittelbare Moment, die Inversion des Gefühls, der Weg ist das Ziel.
Durch den Anbruch des Zeitalters der Aufklärung, die die Welt mittels rationalen, fest definierten Begriffen zu beschreiben und zu verstehen sucht, erfährt auch das Prinzip "Labyrinth" eine unumstößliche Definition, die ihm eine Grund zuweist, der in der Folge ein Labyrinth, wie es Le Nôtre schuf, vermeintlich ad absurdum führt.

Nach seiner Berufung zum Frankfurter Stadtbaurat 1925 plante Ernst May noch von Breslau aus sein eigenes Wohnhaus im vorstädtischen Ginnheim am Abhang zum Niddatal. Als Manifest und Anschauungsbeispiel für seine zukünftige Arbeit in Frankfurt gedacht, verpflichtet sich der erste Entwurf der frühen Moderne, der architektonischen Avantgardebewegung der 20er Jahre. May, von einer traditionelleren Architekturauffassung kommend, orientiert sich an den ungebauten Projekten seiner Kollegen, die er aus den zahlreichen neuen, den "modernen" Gedanken propagierenden Zeitschriften und Pamphleten kennt, wie die Arbeiten von J.J.P. Oud, publiziert in Bruno Tauts "Frühlicht", und den Kompositionsstudien zum Wohnungsbau von Walter Gropius und dessen Studenten in den Bauhauspublikationen.
Der Entwurf bleibt spröde. Die achsensymmetrische, fast klassizistisch anmutende Komposition um einen zentralen, zweistöckigen Atelierraum dominiert die äußere Erscheinung, verliert sich jedoch im Inneren in einer verschachtelten Grundrisskonzeption mit widersprüchlichen Raumfolgen. Unbeholfen wirken auch die Beziehungen zum Außenraum, die Belichtung der Räume und die den westlichen Annex umlaufende Terrasse. Modernistische Stilelemente, wie liegende Fensterbänder, Übereckfenster, Dreieckerker und Flachdachüberstände werden willkürlich und ohne wirkliches Verständnis für das "Neue Bauen" eingesetzt.

Zur Ausführung aber kommt 1925/26 ein zweiter Entwurf. Das Leitmotiv, der zweigeschossige Hauptraum mit Galerie, wird beibehalten, jedoch außermittig in einen strengen, reduzierten Kubus integriert, der in einem bestechend einfachen Grundrissschema alle Hauptfunktionen aufnimmt. Dieser ist raffiniert verschränkt mit einem zweiten, kleineren Kubus, in dem die Nebenräume wie Garage und Dienstmädchenwohnung angeordnet sind. Das Gebäude ist bis zur Möblierung und den Beleuchtungskörpern perfekt und in sich stimmig durchdetailliert und in eine terrassierte und dadurch vielseitige Räume generierende Gartenanlage integriert.
Was Ernst May dazu bewegte, seine erste Planung zu überarbeiten, bleibt spekulativ. Sicher spielen ein Unbehagen gegenüber dem eigenen Entwurf sowie zu hohe Baukosten eine Rolle. Wie er jedoch derart schnell die Prinzipien des "Neuen Bauens" für sich adaptieren und zu etwas derart Progressivem und Eigenständigem weiterentwickeln konnte, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Er schuf mit diesem Haus ein Musterbeispiel der "Neuen Sachlichkeit", einen durchdachten, modernistischen Bau, dem Gedanken der Funktionalität folgend und aus ihr eine neue Ästhetik, einen neuen Stil generierend, das zur damaligen Zeit vielfach publiziert und besprochen wurde.

Nur eine Sache irritiert, die Tür zum Garten. Der Wohnraum wird definiert durch die zweigeschossige Über-Eck-Verglasung mit einem in die Kellerwand versenkbaren großflächigem Fensterelement, davor eine fest eingebaute Sitzbank, die in ihrer seitlichen Verlängerung in ein Regal und in der weiteren Folge in einen Schrank übergeht. Bei genauerer Betrachtung stellt man fest, dass der Zugang zum Garten in diesem Schrank in der hintern Ecke des Raumes versteckt ist, mit Sockel und Kranzgesims und einer Durchgangshöhe von unter zwei Metern. Es ist keine entwerferische Notwendigkeit für dieses Trompe-l'œil feststellbar. Die Außenfassade ist kompositorisch hervorragend gelöst, mit dem Vordach, gebildet durch den Zugang zur Dachterrasse, den Stufen auf den Vorplatz mit dem Wasserbecken und den weiteren Terrassierungen zum Garten. Auch im Inneren wäre die Aufnahme der Ausgangstür auf der rückwärtigen Galerie, mit der Aufweitung für den Webstuhl Ilse Mays, im Erdgeschoss als Kontrapunkt zu den großformatigen Schiebetüren, mit denen sich der Wohnraum zum Arbeitszimmer und zum Esszimmer erweitern lässt, und der gegenüberliegenden schmalen, einläufigen Treppe zur Galerie eine Bereicherung für den Raumfluss. Wahrscheinlich widerspräche der Blick in den Garten der großen Geste der riesigen Westverglasung, die den Bezug zum Boden löst, wie es Le Corbusier fordert, und den Blick in die Weite, in ein abstraktes Bild von Natur lenkt. Aber auch diese These ist angesichts einer funktionalen Lösung mit Klappläden oder einer unverglasten Tür nicht haltbar. Auch spricht die aufwendige Gartengestaltung, die das Haus fest mit seiner Umgebung verwurzelt, dagegen.

Vielleicht verweist diese "barocke Tapetentür" auf etwas tiefer Sitzendes über den Funktionalismus hinaus. Die Tür zum Garten als Spiel, als Geheimnis, als Tor zu einer anderen Welt, als Reminiszenz an ein durch die Rationalität des Maschinenzeitalters vom Verlust bedrohtes Grundbedürfnis des Menschen. Dieses Unbehagen gegenüber der eigenen Moderne formulierte Josef Frank, der Hauptvertreter des "Neuen Bauen" in Österreich, in einem Satz. "Das Wohnzimmer, in dem man frei leben und denken kann, ist weder schön noch harmonisch noch fotogen. Es entwickelt sich auf der Basis des Zufalls, es ist nie fertig und kann alles in sich aufnehmen."
Die Aufklärung erfährt im Funktionalismus, in der vollständigen Rationalisierung des menschlichen Handelns, seinen Höhepunkt. Sie beschreibt, wie der Mensch am effektivsten lebt und am effektivsten getötet werden kann. Dennoch oder gerade deshalb bleibt eine Sehnsucht nach dem Verlust der Orientierung, der Kontrolle, nach einem inversen Raum wie ihn Le Nôtre in Versailles schuf. Das Wohnzimmer Ernst Mays ist schön, harmonisch und fotogen, doch gerade hier versteckt sich ein Hinweis auf etwas Anderes, auf eine Tür zu einem Garten, den wir fast verloren haben.



published in blattspezial no.2 2005, p. 2



Labyrinth André Le Nôtre

Plan des Labyrinths im Versailler Schlosspark von André Le Nôtre, um 1660




Wohnhaus May

Erster Entwurf zum Wohnhaus May - Westansicht, 1925 (Institut für Stadtgeschichte Frankfurt)




Wohnhaus May

Wohnzimmer des Wohnhaus May mit dem in den Keller versenkbaren Panoramafenster, Foto vermutlich Paul Wolff, 1926




Wohnhaus May

Gegenschuss, in der Ecke der Einbauschrank mit verstecktem Ausgang zum Garten, Foto vermutlich Paul Wolff, 1926




Wohnhaus May

Ausgang zum Garten mit Wasserbecken im Vordergrund, Still aus dem Film "Ein Wohnhaus in Ginnheim bei Frankfurt/M" von Paul Wolff, 1926 (Ernst May Gesellschaft Frankfurt)




Wohnhaus May

Wohnhaus May vom Garten aus gesehen, Foto vermutlich Paul Wolff, 1926

          3.3.9  setup for an electrotectural experiment
          3.3.10 zur psychologie des sexus
IV    exhibitions
        4.1  installations
        4.2  project exhibitions
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